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Düssel Ducks 2CV Club Düsseldorf

Das Kamel - oder der Citroen Sahara

von Fritz B. Busch

Eine der beiden roten Kontroll-Lampen erlischt. Ich ziehe meine ölgesättigten Handschuhe an und die Mütze tiefer in die Stirn. Dann drehe ich auch den zweiten Zündschlüssel bis zum Anschlag.

Heckmotor läuft! Der feldgraue Wagenkörper erschauert förmlich unter dem rasselnden Leerlauf der beiden luftgekühlten Boxermotoren. Griffe und Hebel und Gestänge aller Art, meine Beine eingenommen, vibrieren tatenfroh mit. Unter meinem Sitz schwabbern fünfzehn Liter Benzin in ihrem Tank, dessen Füllstutzen durch ein Loch in der Tür nach draussen ragt. Das Gefühl für den Benzinvorrat hat man im Hosenboden, ein Instrument erübrigt sich. Auch unter dem Nebensitz schwabbert es. Jeder Motor hat seinen eigenen Tank unter einem der Sitze, ein Rauchverbot ist nirgends angeschlagen.

Ich klappe ein Türfenster nach draußen und lege den linken Ellbogen aufs Fensterbrett, die Hand fällt dabei von selbst auf den zum Kreis gebogenen Steuerknüppel. Vor der Windschutzscheibe, als hätte es einer da liegenlassen, erhebt sich ein fünftes Rad (Micheln X, 155 x 400), aber man kann darüber hinweggucken.

Ein Probetritt aufs Gaspedal. Von vorn bis hinten wird angesaugt, verdichtet, gezündet, ausgepufft und gebläsegekühlt. Es ist, als befände man sich im Maschinenraum eines Frachtdampfers. Der Rückspiegel betätigt sich als Drehzahlmesser, im Augenblick vibriert er mit mindestens dreitausendfünfhundert.

Ein paar Leute bleiben stehen, ein Hund zieht den Schwanz ein. Ich trete die hydraulisch betätigte Kupplung nieder und knüppele den ersten Gang rein. Handbremse los! Zehn - neun - acht - sieben - der ganze Aufbau macht viertausend Touren, sechs - fünf - vier...

Ein Mann ruft mir etwas zu, es klingt wie: "Achten Sie auf Partisanen!" kann aber auch heißen: "Fahren Sie zu ihren Ahnen!" Man hört nicht so genau hin, drei Sekunden vor dem Start.

Drei - zwei - eins - los!

Der Aufbau macht jetzt mindestens fünftausendachthundert. Beide Maschinen laufen mit voller Kraft, dennoch bleibt die Anfangsgeschwindigkeit der feldgrauen Kapsel gering. Es liegt am ersten Gang, der ein Kriechgang ist. Ich muß schalten. Jetzt - der Wagen macht einen Satz und beschleunigt lärmend wie eine alte Ju 52, die auf die Schallmauer losgaloppiert.

Es muß eine Wonne sein, sie zu durchbrechen, um jenseits von ihr Ruhe zu haben. Ich suche den dritten Gang und zwänge den Knüppel hinein, die Phonzahl sinkt schlagartig ab und die Tachonadel schnellt empor. 80! Es ist also doch ein Auto. Ich habe den Ortsrand erreicht und reite auf die nahen Wälder los. Galopp! Irgendwo wird schmetternd zum Angriff geblasen, oder war es ein Zweiklanghorn auf der nahen Autobahn? Alle Maschinen volle Pulle! Ich finde sogar den vierten. Er liegt im Hinterzimmer, man erreicht ihn ohne den Leerlauf zu betreten, sozusagen durch ein Art Tapetentür. Viele werden nie auf ihn kommen!

Die Bauern auf den Feldern wenden statt des Heus ihre Köpfe. Noch in in der Geschichte dieses Feldwegs wurde er mit 90 Sachen genommen. Dessen bin ich sicher, ist er doch höchstens für 30 gut. Aber meine Wirbelsäule hängt schwerelos im von Gummiseilen durchzogenen Stahlrohrsitz, kein Stoß dringt zu ihr durch. Es ist, als hätten die Räder bereits abgehoben. Ich drehe am Knüppel, aber sie reagieren noch und beweisen Bodenkontakt.

Der Aufbau schwankt, ich werde wie auf einem Wellenkamm vorangespült. Im vierten laufen die Maschinen ruhig, das gesamte Gerassel spielt sich in angenehmen Frequenzen ab. Auf vier Plattfüßen, vorschriftsmäßig mit nur 0.7 atü gefüllt, schwankt der Kahn über Löcher, Furchen, durch Schotter und Sand.

Wenn man auf die Hupe drückt, dann schreit das Auto auf, als hätte man ihm auf den Schwanz getreten - erst ein, dann zweistimmig oder alles durcheinander, wie ein exotisches Tier. Man fährt es ja auch nicht, man reitet es wie ein Kamel, das hochbeinig in langen, wellenförmigen Schwingungen vorwärtsstrürmt.

Hee! Da ist der Weg zu Ende! Er mündet in eine Schlammkuhle, hinter der ein Hügel ansteigt, mal mit Heidekraut, mal mit Buschwerk, mal mit nichts als Sand bewachsen.

Ich zügle mein Gefährt, im zweiten bremsen es die Motoren runter, im ersten (mein Gott, er ist nicht synchronisiert!) watet es gelassen durch den Pfuhl, steigt auf ohne Anlauf am Hang empor, bricht durch Unterholz, neigt sich, ohne umzufallen, mal hierhin, mal dahin, und steht schließlich oben auf dem Hügel.

Die Motoren käuen brummend wieder - Höhe 304 genommen! Ich blicke ungläubig zurück. Über Baumstümpfe, durch Sandhaufen und Strächer, Gräben und schiefe Ebenen ist das Auto einfach raufgelaufen, ohne auch nur einmal Theater zu machen. Es ist plattfüßig hoch gelatscht wie Don Camillo, ohne ein einziges Mal mit den Lungen zu pfeifen. Jetzt steht seine dunkle Silhouette einsam vor dem pastellfarbenen Horizont, man müßte es filmen und mit Musik unterlegen - irgend jemand würde weinen.

Über dem offenen Rolldach kreist ein Bussard. Ich schlage auch das rechte Türfenster auf und lasse den Wind, der über die Heide weht, an meiner Nase vorbeiziehen. Unter mir bebt der Körper eines tatenfrohen Tieres. Ich lege den ersten Gang ein, reiße die Zügel nach links und trabe den Hügel hinab auf eine Sandkuhle zu, aus der sich ein zweiter bewaldeter Hügel erhebt.

Die Motoren treiben das Auto an allen vieren an, und sie drücken mit ihrer Last jeder auf eine Achse. Keines der vier Räder dreht durch, ein jedes saugt sich am unterschiedlichsten Grund fest und klettert anpassungsfähig darüberhin. So ähnlich muß eine Fliege funktionieren, die kerzengerade an der Wand hochläuft...

Unter Last arbeiten die Motoren auch im ersten Gang mit erträglichem Geräusch. Dieser Gang wandelt die zweimal zwölf PS in Ochsenkräfte um, läßt das Auto im Fußgängertempo überall rauf- und durchlaufen und kann beim Anfahren auf ebener, glatter Straße getrost übergangen werden. Um so erstaunlicher ist es, daß ein vierter Gang vorhanden ist, der wie ein Schnellgang wirkt.

Mit seiner Hilfe zieht man auf der Autobahn die Gesichter von Leuten in die Länge, die der Meinung sind, von einem wildgewordenen 2 CV genarrt zu werden. Der Tacho geht bis 90, das Auto über 100 - und an Steigungen kommt es kaum außer Puste.

Ich fahre unter den Bäumen hindurch, dieser und jener Zweig kommt durchs offene Dach herein. Ich schlängele mich durch die Stämme wie durch einen Irrgarten, stoße auch mal zurück, suche einen anderen Ausweg und klettere dabei den Berg hinauf.

Oben angelangt, entdecke ich einen Holzabfuhrweg. Er ist tiefgefurcht und lediglich treckertauglich. Ich gehe ihn an, sitze bald vorne auf, aber die Hinterräder ziehen die Karre wieder zurück. Ich nehme die eine Furche zwischen die Räder, und klettere so auf den hohen Graten dahin, bis vor ein Schlammloch, in dem zerwühlte Äste liegen. Hier hat ein Trecker festgesessen. Das Wasser läuft mir um Mund zusammen. Ich halte nur kurz an, um vom zweiten in den ersten gehen zu können. Und dann sage ich: "Ho-la!" und das Kamel watet hindurch, bis an die Radnaben im Morast versinkend. Es ist wirklich, als ob es läuft; nein, es latscht - das ist der einzig passende Ausdruck dafür.

Diesem Auto zuliebe könnte man auswandern, wo ein Mann immer hinmöchte, von dem er aber nicht weiß, wo es liegt. Es ist ein Land, das man auf dem Rücken eines solchen Wagens durchquert, einsam ein Liedchen pfeifend, auf die Stelle wartend, an der man siedeln möchte. Man fällt Bäume und baut sich eine Hütte, jagt und fischt und fängt ein Wildpferd ein. Man sitzt auf seiner lehmgestampften Terasse unterm Schilfdach im selbstgeschnitzten Schaukelstuhl, und eines Tages läft einem ein Mädchen zu, das von jenseits des Flusses stammt. Oder ein kleiner Hund, der ebenso zugänglich ist.

Das sind so Gedanken, die einem ganz von selbst kommen, wenn man tagelang so gut wie einsam auf dem Citroen Sahara durch die Heide reitet. Man wußte schon lange nicht mehr, daß die Welt nicht nur aus Asphalt und Beton, Schildern und Polizisten besteht.

Wenn irgendwo in der Welt ein Siedler dem alten T-Modell nachweint, dann soll er sich rasch die Tränen abwischen und sich einen Sahara kommen lassen. Aber Sie und ich, wir sind keine Siedler irgendwo in der Welt, wir sind auch keine Legionäre am Rande der Wüste. Wir sind auf Straßen angewiesen, auf Leitlinien, Umleitungen, Gegenverkehr, Überholverbot und Stoppstellen.

Wir sind ganz arme Wichte, denen auch noch das Pfeifereinigen zuviel wird, weshalb wir unseren Knastkolben mit der nächsten Filterzigarette betrügen. Ich kann Ihnen die Gefühle nicht beschreiben, die in mir zu kreisen beginnen, wenn ich frühmorgens die beiden Starter betätige. Und je offensichtlicher die Leute grinsten, denen ich mit meinem Kamel begegnete, um so mehr bedauerte ich sie, die gar nicht bemerken, daß sie mit einem Magnet unterm Hintern auf Leitschienen durch die Welt bewegt werden.

Ein Sahara ist etwas, das einem der Arzt verordnen sollte, er entspannt, läutert, beruhigt und weitet den Horizont. Spätestens am dritten Tag sind die Nerven so gefestigt, daß sie unter dem Krach, den das Auto macht, nichtmal ins Vibrieren geraten. Und auch die ganz alte Hose gehört zur Seelen-Therapie.

Der Sahara ist zwar ein Auto, aber ein tiefsinniges, hintergründiges. Man möchte ihm am Abend ein Bündel Heu vor die Schnauze legen. "He!" und "Ho!" zu ihm sagen und ihm einen Klaps auf die blecherne Lende geben.

Was habe ich nicht alles mit ihm angestellt! Man kann ihn auch mit einem Motor fahren. Durch Umlegen eines Hebels am Getriebetunnel mit dem Frontmotor, und durch primitives Festklemmen der Kupplung am Frontmotor, nur mit dem Heckmotor.

Den Frontmotor benutzt man zum ruhigen Marschieren, man fährt dann praktisch den Clochard, den 2 CV. Soll es aber nur der Heckmotor sein, etwa zum Herausarbeiten aus einem Hindernis, oder wenn der Frontmotor wegen Spritmangel ausfällt, dann muß man halt aussteigen und die vordere Haube hochheben, um den Frontmotor gewaltsam auszukuppeln. Er dreht sonst leer mit, was den Heckmotor unnötig Kraft kostet. Ich habe sie immer alle beide laufen lassen. Zweimal zwölf PS und zweimal Krach gehören halt zu diesem Gefährt.

Die Radhaftung in schnell gefahrenen Kurven ist nur noch mit "sagenhaft" zu bezeichnen. Die vier angetriebenen Räder denken gar nicht ans Wegwischen, obgleich sich der Aufbau alle Mühe gibt, eine Rolle zum kurvenäußeren Rand hin zu machen. Und wenn man noch so sauber rechts fährt, der Gegenverkehr gerät in Kurven stets in Panik, und zart besaitete Fußgänger schließen die Augen.

Auf unmöglichen Straßen, wie man sie in eben erstellten Wohnvierteln noch antrifft, deren Bewohner mit hochgekrempelten Hosenbeinen zur Bushaltestelle stelzen, ist der Sahara anderen Automobilen an Geschwindigkeit überlegen. Er bügelt jede Mondlandschaft glatt. Mit zwei Motoren gefahren, brauchte er im gemischten Verkehr (Straße und Gelände) am Ende meiner Rechnung neun Liter auf 100 Kilometer.

Die Bodenfreiheit ist gewaltig, die Räder laufen auf Stelzen, nur muß man im Gelände durch gleichmäßiges Fahren ein Aufschaukeln vermeiden, durch das sich die Bodenfreiheit rapide nach unten verändern kann. Dem glatten Wagenboden (auch die Motoren sind gut nach unten abgedeckt) kann man manche Rutschpartie zumuten. Was der Sahara macht, das ist mindestens das gleiche, wie die Geländeleistung eines Jeep ähnlichen Kübelwagens. Aber er macht es im Gegensatz zu einem solchen mit Limousinen-Komfort, man sitzt weich, warm und trocken dabei.

Es ist ein verrücktes Ding, dieses Ding. Am Anfang hält man es für eine Dreschmaschine, und am Ende für ein Kamel. Und nach einigen Stunden Geländefahrt beginnt man ein Gespräch mit ihm...

Sie halten mich für ein bißchen verrückt, wie? Es steht Ihnen frei. Spätestens dann, wenn Sie mal tagelang mit dem Sahara in freier Wildbahn herumgestromert sind, werden Sie Ihre Meinung korrigieren. Aber es ist ein seltenes und schwieriger zu realisierendes Vergnügen, als etwa ein Flug nach den Kanarischen Inseln.

Die Autoverleiher werden das Ding nicht führen, neu kostet es über neuntausend Mark, und die Bundeswehr fährt offene, knüppelharte Zweitakter.

Aber ich, ich hatte vierzehn Tage ein Kamel vor der Tür, und die Leute haben mich für eins gehalten. Es war eine köstliche Zeit...

Quelle: Fritz B. Busch: "Einer hupt immer" Rowohlt 1968

Fritz B. Busch betreibt heute ein Oldtimer-Museum in Wolfegg.